Geschichtliche Entwicklung
Norddeutsche Seewarte (1868)
„Es ist meine Absicht, unter den Auspizien der kompetentesten Behörde unseres Vaterlandes, der Handelskammer der Stadt Hamburg, ein, kurz gesagt, ‚Maurysches Institut‘ ins Leben zu rufen, welches vom ersten Tag seines Bestehns an in den unmittelbaren Dienst der praktischen Seefahrt tritt. Zu dem Ende wird ein Bureau eingerichtet, wo sowohl der ausgehende Kapitän die sichersten Erkundigungen einziehen kann über die durch Erfahrung und Wissenschaft ermittelten Eigentümlichkeiten des von ihm einzuschlagenden Seeweges, als auch der einkommende Kapitän eine achtunggebietende Stätte findet, an welcher er durch die von ihm gewonnenen neuen Erfahrungen und Beobachtungen seinen Teil zur Verbesserung unserer Kenntnis des Ozeans beitragen und in geordneter Unterhaltung seine Ideen mit denen anderer sachverständiger Männer austauschen kann.“
Mehr über die Norddeutsche Seewarte
Mit diesen Worten schlägt der damalige Rektor der Großherzoglich Oldenburgischen Navigationsschule in Elsfleth, Wilhelm Ihno Adolf von Freeden (1822-1894), der Hamburger Handelskammer vor, ein Institut zu gründen, dass den Belangen Schiffahrt entgegen käme, um ozeanische Reisen zu sichern und abzukürzen. Von Freeden legt mit dieser Initiative zur Einrichtung der „Norddeutschen Seewarte“ den Grundstein für die Entwicklung der staatlichen maritimen Institutionen in Deutschland. Am 1. Januar 1868 nimmt von Freeden seine Arbeit als Direktor der Norddeutschen Seewarte auf, die mit der Gründung des Deutschen Reiches im Juli 1872 in „Deutsche Seewarte“ umbenannt wird.
Die Hansestadt Hamburg stellt damals von Freeden im Seemannshaus oberhalb der Landungsbrücken Räume zur Verfügung und einen Betrag zur Beschaffung von Mobiliar, Karten, Büchern und Instrumenten. Auch 28 Reeder sichern ihm Unterstützung zu, und die Schiffsführer liefern in Tagebüchern niedergeschriebene gemessene und beobachtete meteorologische Daten. Auf dieser Basis berät von Freeden Kapitäne und empfiehlt individuelle Routen, wobei er die Erfahrung der Kapitäne und die Eigenschaften der Schiffe berücksichtigt. Die so beratenen Schiffe erzielen gegenüber Mitseglern auf den monatelangen Fahrten einen Zeitgewinn von 7 Tagen auf der Ausreise und 4 Tagen auf der Heimreise.
Für von Freeden ist der amerikanische Marineleutnant Matthew Fontaine Maury Vorbild, da dieser bereits um 1840 bis 1850 alte Logbücher auswertet und auf der Basis dieser Beobachtungen Wind- und Strömungskarten erstellt. Dank seiner Segelanweisungen, die er von 1851 an herausbringt, verkürzen die Schiffe ihre Routen erheblich. Von Freeden fertigt in der Zeit von 1868 bis 1875 in der Tradition von Maury rund 850 solcher Segelanweisungen, die sehr gewürdigt werden.
Deutsche Seewarte (1875)
Als die „Deutsche Seewarte“ 1875 eine Reichsanstalt und der Kaiserlichen Admiralität unterstellt wird, übernimmt der Hydrograph der Kaiserlichen Admiralität, Georg Balthasar von Neumayer (1826-1909), die Aufgabe als erster Direktor und baut die Fachgebiete Meereskunde, Meteorologie und Nautik aus. Es gilt, die Seefahrt durch meeresphysikalische und maritim-meteorologische Beobachtungen zu fördern, nautische Instrumente zu prüfen sowie hydrographische und nautische Schriften und Karten zu sammeln und die heimische Schifffahrt durch nautische Veröffentlichungen sowie die Sturmwarnungen an der Küste und im Binnenland – einschließlich der Verarbeitung des gesammelten Materials für Navigation und Wissenschaft – zu informieren.
Mehr über die Deutsche Seewarte
Mit der Einrichtung von meteorologischen Beobachtungsstationen an der norddeutschen Küste und im Binnenland und den regelmäßigen Nachrichten für Seefahrer gewinnt die „Deutsche Seewarte“ nicht nur national an Anerkennung. Die Beteiligung von Mitarbeitern der „Deutschen Seewarte“ an Polarexpeditionen und internationalen ozeanographischen Expeditionen fundiert auch international ihre führende Stellung.
Neumayer leitet das Institut 27 Jahre und versteht es, ausgezeichnete Fachleute zu gewinnen sowie Wissenschaft und Seefahrt gewinnbringend miteinander zu verknüpfen. Namhafte Wissenschaftler forschen an der „Deutschen Seewarte“ auf den Gebieten der Nautik, Hydrographie und Meteorologie. Zu ihnen gehören beispielsweise Wladimir Köppen, Alfred und Kurt Wegener oder Christian Koldewey. Aus der „Deutschen Seewarte“ heraus wird die Gründung des Lehrstuhls für Meereskunde an der Universität Hamburg initiiert und vorangetrieben.
Die Zunahme der meereskundlichen Aufgaben erfordert 1911 die Einrichtung der Abteilung für Ozeanographie. 1924 nimmt der Windstau- und Sturmflutwarndienst an der „Deutschen Seewarte“ seine Arbeit auf. Ab 1919 leitet das Reichsverkehrsministerium die „Deutsche Seewarte“ als oberster Dienstherr. 1935 wird der Wetterdienst dem Reichsluftfahrtministerium unterstellt, während die Nautik und Hydrographie der Marine untergeordnet sind.
Deutsches Hydrographisches Institut (1945)
Nach dem Zweiten Weltkrieg gründen die britischen Besatzer 1945/1946 das „German Maritime Institute “ aus dem das „Deutsche Hydrographische Institut“ (DHI) mit zonenübergreifenden Aufgaben und das „Meteorologische Amt für Nordwestdeutschland“ (MANWD) hervorgehen. Während die meteorologischen Arbeiten dem MANWD zugeordnet werden und das „Meteorologische Amt“ in der Navigationsschule am Hamburger Hafen einzieht, übernimmt das DHI die nautischen, hydrographischen und meereskundlichen Aktivitäten und bezieht 1948 das ehemalige Seemannshaus. In der sowjetischen Besatzungszone entstehen der Meteorologische Dienst (MD) sowie der Seehydrographische Dienst (SHD).
Mehr über das Deutsche Hydrographisches Institut
Das DHI als zentrale Einrichtung für alle Belange der Schifffahrt übernimmt zudem Aufgaben des Marineobservatoriums in Hinblick auf die Untersuchung von Schiffsmagnetismus, Chronometerprüfungen, Gezeitenvorausberechnungen, den Windstau- und Sturmflutwarndienst sowie erdmagnetische Beobachtungen. Am 12. Dezember 1950 übernimmt das Bundesministerium für Verkehr gemäß den Beschlüssen der Alliierten Hohen Kommission die Zuständigkeit für das DHI . Zu den Aufgaben zählen die Förderung der Seeschifffahrt und Seefischerei durch naturwissenschaftliche und nautisch-technische Forschungen, Prüfung der Schiffsausrüstung, nautische und hydrographische Dienste, die Herausgabe amtlicher Seekarten und nautischer Veröffentlichungen sowie die Überwachung des Meerwassers auf Radioaktivität und andere schädliche Substanzen.
Seehydrographischer Dienst der DDR (1950)
Nach Kriegsende ist das Deutsche Hydrographische Institut (DHI) zunächst für alle vier Besatzungszonen zuständig. Da sich die Zusammenarbeit der Besatzungsmächte aber schwierig gestaltet, beschließt die Sowjetische Militäradministration 1948 den Aufbau einer neuen hydrographischen Einrichtung. Zunächst nehmen zwei neue Seevermessungsgruppen bei den Wasserstraßenämtern Rostock und Stralsund hydrographische Aufgaben an den Küsten von Mecklenburg und Vorpommern wahr. Bei der 1945 eingerichteten Generaldirektion Wasserstraßen, Schifffahrt und Schiffbau in Berlin wird ein Referat Seevermessung und Meereskunde eingerichtet.
Des Seehydrographische Dienst (SHD) nimmt mit Beschluss vom 27. Juli 1950 seine Arbeit auf und wird rückwirkend zum Jahresbeginn etabliert. Die im Oktober 1949 gegründete Deutsche Demokratische Republik (DDR) verfügt damit über einen eigenen hydrographischen Dienst. Seinen Sitz hat der Seehydrographische Dienst zunächst in Berlin, ab 1953 in Stralsund und schließlich ab 1959 in Rostock am Dierkower Damm. Außerdem entstehen Außenstellen in Warnemünde, Stralsund, Saßnitz und Wolgast.
Nach Auflösung der Nationalen Volksarmee am 30. September 1990 untersteht der SHD für zwei Tage dem Verkehrsministerium der DDR . Im Zuge der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 geht der überwiegende Teil seiner Aufgaben an das BSH über. Der Standort in Rostock, zunächst eine Außenstelle, ist seit 1994 gleichberechtigter Dienstort des BSH . Im Juni 2003 erfolgt der Umzug in ein neues Dienstgebäude am Rostocker Stadthafen auf dem Gelände der ehemaligen Neptunwerft.
Mehr über den Seehydrographischen Dienst der DDR
Der Aufbau des SHD gestaltet sich mühsam. Es fehlt ebenso an Fachpersonal wie an Schiffen und technischer Ausrüstung. Der organisatorische Aufbau des SHD lehnt sich stark an die Gliederung des DHI in Hamburg an. Zu den Aufgaben gehören nautische und hydrographische Dienste, die Herausgabe amtlicher Seekarten und nautischer Veröffentlichungen, das Seezeichenwesen sowie die amtliche Prüfung nautischer Instrumente. Neben den nautisch-hydrographischen Abteilungen wird auch eine Abteilung Meereskunde eingerichtet. Aus dieser Abteilung entsteht zunächst das Hydro-Meteorologische Institut des SHD . Aus diesem Institut geht 1958 das Institut für Meereskunde in Warnemünde hervor, der Vorgänger des heutigen Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW). 1960 wird das Institut aus dem SHD ausgegliedert und als zivile Forschungseinrichtung der Akademie der Wissenschaften der DDR unterstellt.
Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (1990)
Mit der Wiedervereinigung 1990 werden die Aufgaben des DHI gemäß Einigungsvertrag mit den Aufgaben des Seehydrographischen Dienstes der DDR (SHD) zusammengelegt und künftig vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) übernommen. Dort sind auch die Aufgaben zur Förderung der deutschen Handelsflotte und auf dem Gebiet des Flaggenrechts angesiedelt, die bislang beim Bundesverkehrsministerium lagen. Das BSH hat 2 Standorte: das BSH in Hamburg mit den Abteilungen der Meereskunde (M), der Schifffahrt (S) und der Abteilung Ordnung des Meeres (O) und einem eigenen Labor in Hamburg-Sülldorf zur Auswertung zahlreicher Untersuchungsvorhaben und das BSH in Rostock mit den Schwerpunkten der Abteilung Nautische Hydrographie (N), dem Eis- und Wasserstandsdienst für die Ostsee und der Seekartenerstellung.
Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) ist heute DIE zentrale maritime Behörde in Deutschland. Als Bundesoberbehörde und Ressortforschungseinrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV ) befassen sich rund 900 Menschen in über 100 Berufen mit Aufgaben der Seeschifffahrt, der Ozeanographie, der nautischen Hydrographie, des Meeresumweltschutzes und der Offshore -Windenergie. Fünf eigene Vermessungs-, Wracksuch- und Forschungsschiffe operieren in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) von Nord- und Ostsee. Das BSH arbeitet in mehr als 15 internationalen Organisationen und in über 170 dort angesiedelten Gremien mit maritimem Bezug.