Wetterlagen- und Sturmklassifizierung

Jenkinson und Collison entwickelten 1977 ein objektives Verfahren zur Typisierung des atmosphärischen Zirkulationszustands im Meeresniveau der Nordseeregion anhand des Lambschen Wetterlagensystems. Dieses System umfasst Hoch- und Tiefdruckwetterlagen und Zirkulationsmuster mit dominanter Anströmungsrichtung (z.B. Westwindlage). Ferner gibt es Mischformen (sogenannte hybride Wetterlagen), bei denen Rotation und Anströmung gleichwertige Eigenschaften darstellen (z. B. zyklonale Westwindlage). Die kategorische Beschreibung des atmosphärischen Zustands durch qualitative Zirkulationsmuster wird ergänzt durch eine Abschätzung der Intensität dieser Muster im Rahmen der Sturmklassifizierung.

Zyklonale Westwindlage (Orkun)Zyklonale Wetterlage (Xaver)

In der Grafik sind Luftdruckverteilungen (hPa) im Meeresniveau am 18. März 2007 (Nordsee) und 6. Dezember 2013 (Ostsee) dargestellt. Maßzahlen für Wind und Wirbelstärke (Vorticity) zur Wetterlagen- und Sturmklassifizierung ergeben sich aus der 1. und 2. partiellen räumlichen Ableitung des Luftdruckfeldes. Die Differenzierung erfolgt auf einem 16-Punkte Gitter, wobei für den Windindex der Luftdruck nur an den inneren Positionen 4-5-9-13-12-8 benötigt wird, während die Bestimmung des Vorticityindex alle Gitterwerte erfordert. Beide Indizes gelten formal für die zentralen Punkte 55°N/5°E (Nordsee) und 60°N/20°E (Ostsee), sind jedoch für das von den inneren Positionen umschriebene Gebiet repräsentativ.

Für die Nordsee ergibt sich eine hybride Wetterlage, nämlich eine zyklonale Westwindlage (CW); die Wetterlage auf der Ostsee wird als rein zyklonal (C) klassifiziert. Beide Wetterlagen stellen sehr schwere Stürme (Very Severe Gale) dar: Die Orkantiefs Orkun (Nordsee) und Xaver (Ostsee).

Das Verfahren setzt ein exaktes Gleichgewicht zwischen Druckgradientkraft und der Corioliskraft voraus (Geostrophisches Gleichgewicht), die infolge der Erdrotation auftritt. Beide Kräfte stellen den Hauptantrieb für Luftbewegungen in extratropischen Breiten dar. Der horizontale Wind, der diese Gleichgewichtsbedingung erfüllt, heißt geostrophischer Wind. Er weht entlang der Linien gleichen Luftdrucks (Isobaren), wobei sich auf der Nordhalbkugel der hohe Druck in Bewegungsrichtung rechts befindet (Buys Ballotsches Gesetz). Die Windgeschwindigkeit ist umso höher, je enger der Isobarenabstand bzw. je stärker das Druckgefälle.

Das Luftdruckfeld stellt in Abhängigkeit von den Ortskoordinaten eine gekrümmte Fläche mit Bergen und Tälern dar. Die 1. räumliche Ableitung charakterisiert als Druckgradient die Steigungseigenschaften des Feldes, die den geostrophischen Wind und so Anströmungsrichtung und Intensität einer Wetterlage definieren. Die 2. räumliche Ableitung charakterisiert als Divergenz des Druckgradienten oder, bedeutungsgleich, als Laplacescher des Druckfeldes, die Wölbungseigenschaften (Konkavität) des Luftdruckfeldes. Über das Vorzeichen des Laplaceschen (L) lassen sich Druckberge (L<0, konkav) und Drucktäler (L>0, konvex) identifizieren. Die Wirbelstärke des geostrophischen Windes (Geostrophische Vorticity) ist proportional zum Laplaceschen des Luftdruckfeldes. Rotationscharakter (zyklonal (linksdrehend) bzw. antizyklonal (rechtsdrehend)) und Wirbelstärke einer Wetterlage sind somit über den Laplaceschen des Druckfeldes festgelegt.

Eine vollständige Beschreibung der Wetterlagen- und Sturmklassifizierung ist in Loewe et al. (2005) enthalten, die das Verfahren zur Dokumentation des Nordseezustands verwendet haben. Die Klassifizierung wurde ursprünglich auf der Grundlage täglicher Luftdruckfelder im Meeresniveau des Hadley Centre for Climate Prediction and Research (2007) vorgenommen. Da dieser Datensatz 2005 endet, werden seit 2006 die Luftdruckfelder der NCEP/NCAR Reanalyse I verwendet (Kalnay et al. 1996). Dieser Datensatz liegt allen in „Wetterlagen und Stürme auf See“ präsentierten Produkten zugrunde.

Vertiefende Informationen

Zustandsraum und Klassifizierung

Der Zustand der atmosphärischen Zirkulation ist durch Maßzahlen für Wind (V*) und Vorticity (Z*) festgelegt, die sich aus der räumlichen Differenzierung des Luftdruckfeldes ergeben. Die eigentliche Klassifizierung beruht auf empirischen Relationen, die den von V* und Z* aufgespannten Zustandsraum in Gebiete unterteilen, denen qualitative Wetterlagenmuster zugeordnet sind. Diese Aufteilung wird vor dem Hintergrund der relativen Häufigkeitsverteilung der täglichen Zirkulationszustände (V*, Z*) auf der Nordsee im Zeitraum 1971-2000 erläutert.



Der bivariaten Verteilung liegen quadratische Zellen mit Klassenbreite 8 hPa zugrunde. Zirkulationszustände außerhalb der 0.1% Kontur sind individuell (+) sichtbar gemacht. Das Vorzeichen des Vorticityindex bestimmt den zyklonalen (+) bzw. antizyklonalen (-) Drehsinn der Zirkulation. Unterschiedliche Vorzeichen des Windgeschwindigkeitsindex bedeuten eine Grobklassifizierung der Anströmung nach Winden aus der westlichen (+) und östlichen (-) Hemisphäre, die hier unbeachtet bleiben kann.

Die Unterteilung des Zustandsraums folgt aus linearen Beziehungen zwischen V* und Z* und ist als grünes Liniennetz sichtbar gemacht, das sich unterhalb der Häufigkeitsverteilung bis zum Ursprung fortsetzt. Der Zustandsraum gliedert sich in sechs Gebiete. Die vier Geraden (Z*/V* = ±1 bzw. ±2) grenzen die Übergangszonen hybrider Wetterlagen (ADIR und CDIR) von den Bereichen ab, in denen der Richtungs- (DIR) bzw. Rotationscharakter (A oder C) den Zirkulationszustand dominiert. Die Zuordnung einer konkreten Richtung für DIR-Zustände ergibt sich aus der zonalen (u*) und meridionalen (v*) Komponente des Windindex V*. Unklassifizierbare Zustände (U) sind solche, für die sowohl |V*| als auch |Z*| ≤ 6 hPa gelten.

Das originäre Klassifizierungsverfahren unterscheidet 27 Wetterlagen (Full Set). Das sind antizyklonale (A) und zyklonale Rotationslagen (C), 8 Richtungslagen (DIR: N, NE, ENW), 2x8 hybride Wetterlagen (ADIR und CDIR) sowie der nicht klassifizierbare Zustand UNC (hier U). Dieser vollständige Satz erlaubt einen sehr differenzierten Einblick in die synoptische Situation und ihre Entwicklung.

Für statistische Analysen wird ein reduzierter Satz von 6 Wetterlagen (Reduced Set) bevorzugt (Loewe et al., 2006; Loewe, 2022). Dazu werden die hybriden Zustände durch die Geraden Z*/V* = ±√2 den Rotations- bzw. Richtungslagen gleichmäßig zugeschlagen. Ferner werden lediglich 4 Hauptrichtungen (NE, SE, SW, NW) mit einer Klassebreite von 90 Grad zugelassen und die Klasse UNC aufgegeben.

Die Sturmklassifizierung ist für das vollständige und das reduzierte Wetterlagenset identisch. Sie fußt auf der von Jenkinson und Collison (1977) angegebenen Definition eines elliptischen Sturmindex G*=(V*^2+ ¼ Z*^2)^½. Sturm (Gale), schwerer Sturm (Severe Gale) und sehr schwerer Sturm (Very Severe Gale) liegen vor, wenn G* kalibrierte Schwellwerte überschreitet. Die drei Sturmzonen sind im Zustandsraum durch verschiedene Blauschattierungen kenntlich gemacht.

Modifikationen der Sturmklassifizierung

Die Sturmklassifizierung beruht auf einem Peak-over-Threshold Verfahren. Für die Nordseeregion und den Luftdruckdatensatz des Hadley Centre for Climate Prediction and Research (2007) wurden die Schwellwerte des Sturmindex G* zu 30, 40 und 50 hPa festgesetzt (Jenkinson und Collison, 1977). Diesen Schwellwerten entsprechen Überschreitungswahrscheinlichkeiten der G*-Verteilung im Zeitraum 1971-2000 von 10, 2 und 1/3.65 % (Loewe et al., 2013).

Die täglichen Druckfelder des Hadley Centre beruhen auf einem einzelnen Termin, während die Druckfelder der hier verwendeten NCEP/NCAR Reanalyse I Tagesmittel über vier Termine darstellen. Die damit verbundene Glättung der Druckfelder führt bei Verwendung unveränderter Schwellwerte zu einer Unterschätzung der Sturmhäufigkeiten. Die erforderliche Rekalibrierung der Schwellwerte wurde über die Anpassung einer Pareto-Typ-2 Verteilung an den rechten Schwanz der empirischen G*-Verteilung im Referenzzeitraum 1971-2000 vorgenommen (Loewe et al., 2013). Den o.a. Überschreitungswahrscheinlichkeiten von 10, 2 und 1/3.65 % entsprechen in der Nordseeregion reduzierte Schwellwerte von 28.3, 36.6 und 44.6 hPa.

Wind- und Vorticityindex korrespondieren mit dem Gradienten bzw. Lapaceschen des Luftdruckfeldes. Mithilfe konstanter Proportionalitätsfaktoren lassen sich beide in geeignete physikalische Maßeinheiten für Wind und Vorticity umskalieren. Für die Nordsee gilt: V=0.62V* m/s und Z=2.75Z* Grad/Tag. Diese linearen Skalierungen wurden in der Abbildung des Zustandsraums für die Bemaßung der oberen und rechten Koordinatenachse verwendet. In der Grenze einer puren gerichteten Anströmung (Z*=0) entsprechen die Sturmschwellwerte geostrophischen Windgeschwindigkeiten von 17.4, 22.6 und 27.5 m/s, die in die Beaufortklassen 8, 9 und 10 fallen. Für eine strikt rotierende Strömung (V*=0) ergeben sich Rotationsraten von 0.43, 0.56, 0.68 Umdrehungen/Tag. Generell amalgiert der Sturmindex Intensitätsmaße für Wind und Vorticity und ist demnach als Kompositmaß für die Stärke der regionalen Zirkulation nicht mit herkömmlichen lokalen Sturmmaßen wie der Beaufortskala vergleichbar.

Bei der Anwendung des Sturmklassifizierungsverfahrens auf die Ostseeregion ist zu bedenken, dass das Analysegitter gegenüber dem Nordseegitter um (15 Längengrade nach Osten und) 5 Breitengrade nach Norden verschoben ist. Aufgrund der Zunahme der Coriolisfrequenz (f=2Ωsinφ) mit der geographischen Breite nehmen geostrophische Windgeschwindigkeiten (V) bei gleichem Druckgradienten (Isobarenabstand) mit zunehmender Breite ab. Manche synoptische Wetterkarten, etwa die Schwarzweißedition der Bodendruckanalysen des UK Met Office, enthalten deshalb ein Nomogramm (Geostrophic Wind Scale) der geostrophischen Balancegleichung, das der Abschätzung der geostrophischen Windgeschwindigkeit in Abhängigkeit von Isobarenabstand und geographischer Breite dient (Beispiel; Nomogramm als Tabelle; USACE, 1984, p.3-35). Die geostrophische Vorticity (Z) ist gleichermaßen über die Coriolisfrequenz breitenabhängig. Für die Umrechnung der Ostseeindizes V* und Z* in physikalische Maßeinheiten ist deshalb an die für 55° N gültigen Proportionalitätskonstanten (s.w.o.) der Faktor 0.95=f(55°)/f(60°) anzubringen.

Dies impliziert weiter, dass in beiden Seegebieten identische Sturmindizes G* auf der Ostsee geringere Windgeschwindigkeiten und Vorticities anzeigen als auf der Nordsee. Die Problematik kommt derjenigen gleich, in verschiedenen Regionen unterschiedliche Beaufortskalen zu verwenden oder Stürme regionsübergreifend über feste Perzentile zu definieren. Um sicherzustellen, dass die physikalischen Dimensionen der Sturmellipsen für Nord- und Ostsee gleich sind, so dass Stürme mit identischen Maßstäben gemessen werden, ist eine Anpassung der Sturmschwellwerte erforderlich. Die für die Ostsee verwendeten Schwellwerte von 29.9 (Gale), 38.7 (SG) und 47.2 hPa (VSG) liegen gegenüber denen für die Nordsee um den Faktor 1.06=f(60°)/f(55°) höher. (Im Zuge dieser Änderungen wurde der UNC-Bereich des Zustandsraums in gleicher Weise von 6 hPa auf 6.3 hPa erweitert.)

Für den Referenzzeitraum 1971-2000 (10.958 Tage) ergeben sich so insgesamt 702 Sturmtage, wovon 595, 92 und 15 auf die Klassen G, SG und VSG entfallen. Daraus folgen empirische Überschreitungswahrscheinlichkeiten von 6.4 (G), 1.0 (SG) und 0.5/3.65 % (VSG), die sich klar von denen für die Nordsee unterscheiden und belegen, dass verschiedene Sturmklimatologien vorliegen. Insbesondere treten schwere und sehr schwere Stürme auf der Ostsee nur halb so oft auf wie auf der Nordsee.

Daten, Literatur und Links

Daten

Literatur

Links